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Klosterschwester

Gesegnete Liebesbeziehungen

Eine gelungene Liebesbeziehung baut sich in vier Phasen auf: Auf den ersten Kontakt, in dem man – hoffentlich wenigstens – Gefallen und Interesse aneinander entdeckt, danach folgt erst das Wachsen einer Beziehung. Wie, wird sich erst zeigen. In meiner Jugend sagte man, sobald jemand die Freizeit mit überwiegend ein und derselben Person verbrachte, man hätte eine „Bekanntschaft“. Heute spricht man von „Beziehung“. Aber Beziehung ist mehr als nur eine mehr oder weniger exklusive Verbindung mit jemand Anderem.

Der wiengebürtige Religionsphilosoph Martin BUBER schrieb: „Der Mensch empfängt nicht einen ,Inhalt‘, sondern eine Gegenwart, eine Gegenwart als Kraft.“ (Buber, Du und Ich: 111) An dieser Stelle ist „Gott“ gemeint – aber Gott ist Liebe (1 Joh 4, 16) – und wenn man wirklich liebt, erkennt man Gott in sich selbst und wenn man wiedergeliebt wird, ebenso im Anderen.

Beziehung bedeute daher, Schritt für Schritt größere Nähe zu der anderen Person zu empfinden, ihr immer mehr zu vertrauen und ihr Sein in sich selbst – „im Herzen“ – zu spüren. Zumindest gelegentlich – denn Spüren und Fühlen braucht Zeit.

Denkmuster kann man auswendig lernen (bzw. indoktriniert bekommen) und schnell abrufen (falls sie nicht automatisch erfüllt werden) – und das geschieht in unserer schnelllebigen Zeit durch die Vorbilder, die vielfach unbedacht nachgeahmt werden.

Aktueller Exkurs:

Zu den Iden des März 2021 wurde bekannt, dass die vatikanische Glaubenskongregation neuerlich daran festhalte, dass „Beziehungen“ nur gesegnet werden dürfen, wenn damit „den Plänen Gottes gedient“ sei (Kritik an Nicht-Segnung homosexueller Paare durch Vatikan (faz.net).

Abgesehen davon, dass wir uns von dem, was wir Gott nennen, kein Bild machen sollen (2 Mose 20,4: Du sollst dir kein Bild machen und keine Gestalt dessen im Himmel droben, auf Erden drunten oder im Wasser unter der Erde.), daher schon gar nicht das eines Übervaters, der einem vorschreibt, wen man wann und wie zu lieben hat – ist es eine Lebensaufgabe, Verliebtheit, Begehren und Lieben als leib-seelisch-geistige Seinserfahrungen auseinander zu halten … und auch von Sehnsüchten, Wünschen, Befürchtungen und Ängsten zu unterscheiden.

Partnerwahl, sexuelle Praktiken und Verhütung sind dabei nur mögliche Konfliktfelder, und all dies zusammen gelassen zu bewältigen, kann schon ziemlich anstrengend werden, wenn man es vernünftig durchdenkt … und das sollte schon geschehen, bevor man sich in diese Nähe einlässt, in der man nicht mehr denken kann sondern nur mehr fühlen und spüren.

Wenn man das kann – denn dies zu können und auch zu wollen, wissen und wagen zunehmend immer weniger Menschen, denn das braucht Zeit – und die Fähigkeit der Selbststeuerung.

Selbststeuerung hängt damit zusammen, dass wir uns alle, wenn wir geschlechtsreif werden, an den jeweils verfügbaren Vor-Bildern orientieren. Jahrhundertelang waren es Tiere, die man verstohlen beobachtet hat (oder das „Doktorbuch“ der Eltern, ganz hinten im Bücherschrank – so vorhanden). Seit der letzten, mit meinen Worten „kommerziellen“ (statt sexuellen) Revolution sind es Pornofilme. Das Niveau ist das gleiche (sofern nicht kriminelle Aktionen gezeigt werden).

Pornofilme sind Possen gleichzuhalten: Sie geben keine alltagstauglichen Anleitungen, ganz im Gegenteil, aber sie vermitteln unkritischen Menschen die Illusion eines „how to do“, aber ärger noch, eines „how to be“: jung, schlank, schön, gigantisch (unbehaart sieht alles größer aus) – außer es sollen paraphile (früher sagte man perverse) Zielgruppen angesprochen werden.

In meiner Ausbildung in systemischer Paar- und Sexualtherapie wurden wir darauf hingewiesen, dass wir, wenn wir zwecks Verdeutlichung von Informationen passende Worte suchen, Vergleiche mit der Nahrungsaufnahme nützen sollten – immerhin gäbe es dort genauso die Aufgabe, mit Hunger, Appetit, Gier, Sattheit aber auch Widerwillen und Ekel fertig zu werden.

Und so wie ein Kind erst im Laufe der Zeit lernt, ein bedächtiger Esser zu werden, der sich nicht verkutzt, verletzt, vergiftet oder auch nur kurzfristig den Magen verdirbt, und auch nicht andere anprustet oder ankotzt, gilt es auch in der ausgelebten Sexualität herauszufinden, ob man nur schnelle, oberflächliche „Triebabfuhr“ will und an einer Beziehung, insbesondere eine lang andauernden tiefen Beziehung, desinteressiert ist – eine Form von Missbrauch im Sinne des Weltethos nach Hans KÜNG[1] – weil man nur Zeit vertreiben will, spielerischen Spaß anpeilt oder einen „Kick“ sucht um seiner Einsamkeit (Depressivität) abzuhelfen.

Wenn man Mut zur Selbsterkenntnis besitzt, wird man da und dort schon fündig werden – und sich auch zugestehen, weshalb man echte Intimität vermieden hat.

Die dritte Phase besteht nämlich im Erreichen seelischer (!) Intimität, erkennbar an der großen Nähe, in der Seele an Seele ankommt, wenn man nicht mehr laut sprechen kann, weil das Herz bis in den Hals hinauf schlägt, weil es so weit geworden ist um den geliebten Menschen „in sich aufzunehmen“.

Leider mögen viele Menschen diesen – den eigentlich beglückenden – Zustand nicht durch langsames Atmen verlängern. Manche wähnen, ihnen würde das Herz zerspringen, wenn sie diese „Kraft“ nicht schnell loswürden. Es gilt aber das Herz zu weiten – so wie Frauen in der Vorbereitung zur „sanften Geburt“ lernen können, durch Atemtechniken die Muskulatur des Geburtskanals zur nötigen Weite zu dehnen. Das Herz ist auch ein Muskel – und wenn man in Liebe (und ebenso Trauer, denn man trauert nur, wenn man geliebt hat; Wut über das Verlassen-worden-Sein oder Angst vor Verlust der Existenzsicherheit oder auch nur Alltagsroutine sind keine Liebesbeweise!) die bisherige Herzbegrenztheit spürt, ist es Zeit und Chance um das Herz wirklich weit aufzumachen.

Exkurs: Das erektionsauslösende „Medikament“ Viagra entstammt ursprünglich der Herzforschung auf der Suche nach Mitteln zur Erweiterung verengter Herzkrankgefäße. Als man die „Nebenwirkung“ auf die Schwellkörper des Penis erkannte, war logischerweise die Vermarktung dieses Effekts gewinnbringender (und vielleicht in Rückkoppelung effektiv – wurde aber meiner Kenntnis nach nicht mehr untersucht). Allerdings: Liebe – ein psychisch-energetisches Phänomen – konnte dadurch nicht bewirkt werden, nicht einmal Begehren.

Erst wenn dieser Zustand innigster Intimität erreicht ist, sollte eine körperliche Vereinigung – sprich: der Zeugungsakt – begonnen werden. Ich unterscheide demgegenüber und umfassender Geschlechtsakte: da gibt es viele Arten des Austausch‘ von Körpersäften, beginnend mit dem „offenen“ Kuss – und ohne diesen Austausch wie auch beidseitige Intimität handelt es sich entsprechend dem Missbrauchsverbot im Weltethos um Bedienung oder Ausbeutung eines anderen, egal aus welchen Motiven, oder Opfer (im religiösen Sinn), wenn die Motive edel sind.

Der Irrtum, dem viele in der westlichen Welt mit ihren Porno-Vor-Bildern unterliegen, besteht darin, den dabei demonstrierten Samenerguss mit all den schauspielerischen Fakes als Gipfel der Lust zu deuten. Dabei weiß wohl jeder Mann, dass es lustlose Samenergüsse („ausrinnen“) gibt; es gibt aber auch „trockene“ Orgasmen, oft als „extragenitale Orgasmen“ bezeichnet. Diese kennen aber eher Frauen. Ich habe das in meinem Buch „Lieben!“[2] ausführlich beschrieben.

Wenn man „gesegnete“ Geschlechtlichkeit zum Leben erwecken will, ist es völlig egal, wie alt, gesund, schön oder anpassungsbereit man ist, denn sie ist einzig die Folge einer wahrhaftigen und seelisch intimen Beziehung von Herz zu Herz. Man kann auch sagen: dann spürt man „Schekina“ – das Einfließen dessen, was Gott bedeutet (von dem man sich bekanntlich kein Bild machen soll – 2 Mose 20, 4), das Ergriffenwerden von der Himmelmacht, von der Barinkay und Saffi im „Zigeunerbaron“ singen. Dann kann man auch nicht anders als psychisch treu sein – weil man mit dem oder der Anderen „ein Fleisch“ ist und etwas Drittes keinen Platz hat, und selbst wenn man verlassen wird, bleibt man verbunden (denn soziale Treue ist etwas ganz anderes, und viele folgen ihrer Berechnung oder Gier – die Weltliteratur ist voll von Berichten untreuer Männer und treuer Frauen, umgekehrt ist es wohl sehr selten, jedenfalls habe ich in meiner mehr als 50jährigen Berufspraxis keinen solchen Fall erlebt, sehr wohl aber „Hörigkeit“, und die ist behandlungsbedürftig).

Vor gut hundert Jahren wurden zeitliche Hürden gelegt, bevor Eltern Erlaubnis zu Paarbildungen gaben: Man musste etwa ein bis drei Jahre warten, sich prüfen – und oft überlebten die Wünsche und Hoffnungen diese Verzögerungen nicht. (Außerdem musste auf den Hausstand gespart bzw. die Aussteuerwäsche genäht und allenfalls bestickt werden. Musste dies nicht, erwies sich das in Folge meist nicht so gut.)

Die Lösung besteht also in der „Dehnung“ der dritten Phase, des achtsamen Annäherns an den Zustand leibseelischgeistiger Intimität. Und dabei darf es auch bleiben – man erspart sich so manche Ent-täuschung – muss aber nicht. Im Endeffekt ist es immer die eigene Entscheidung, wie oberflächlich schnell oder langsam vertiefend man sein Liebesleben gestalten will, und was man von dem oder der Anderen tatsächlich will: Beseitigung der eigenen Einsamkeit? Soziale bzw. sexuelle Bestätigung? Hilfe gegen verletzende Kommentare der Umwelt (Familie mitgemeint)?

Heute, wo viele Menschen glauben, im realen Leben müsste alles so geschwind zugehen wie in der Kinozeit, in der ganze Jahrzehnte in neunzig Minuten abgespult werden und James Bond im Laufe eines Nachmittags seine soeben kennen lernte „Gespielin“ ins Bett bringt, ist das natürlich unmodern geworden: es gibt kontakt – und schon körperliche Vereinigung (und keine Rede von Verhütung – auch ein Negativvorbild!).

So imitieren viele dieses Verhalten (und die Vermeidung von wertschätzenden Gefühlen) und ersparen sich nach Kontakt die Zeit für Beziehung und Intimität und drängen so schnell wie möglich zum Eindringen (mit oder ohne Viagra).

Körper, Seele und Geist sind eine Einheit – ein Teil reagiert immer gleichzeitig auf einen oder alle anderen. Der Körper kann leicht „angesteckt“ werden, wenn jemand anderer stark „sendet“ – und führt zum Aufbrachen neuer oder  altgewohnter Hoffnungen oder aber Wut und Abwehr. Deswegen ist es so wichtig, den Geist zu überprüfen, in dem man selbst wie auch die anderen agieren.

Denn je stärker der Körper reagiert, desto mehr schrumpft leider die Vernunft.

[1] Küng beschreibt vier ethische Forderungen in den Hochreligionen: nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen, nicht missbrauchen. (Dokumentation zum Weltethos (Hg. Hans Küng), Piper, München 2002.

[2] R. A. Perner, „Lieben! Über das schönste Gefühl der Welt – für Anfänger, Fortgeschrittene und Meister“, Orac, Wien 2018.

Bildquellen

"Ehem. Univ. Prof. f. Prävention / Gesundheitskomm. Psychoanalytikerin / Gesundheits- psychologin / LSB Projekt- und Unternehmensbera- terin, strateg. Coach Evang. Pfarrerin im Ehrenamt (Pfarrgemeinde Donaustadt)" Silbernes Ehrenzeichen der Republik Österreich | 1992 Paracelsusring | 1996 Berufstitel Professorin | 1999 Goldenes Ehrenzeichen der Republik Österreich | 2005 Liese-Prokop-Frauenpreis in der Kategorie Wissenschaft | 2007 Goldene Stadtwappennadel Wr. Neustadt | 2007 Ernennung zum Visiting Professor der Donau Universität Krems | 2009 Goldenes Ehrenzeichen des Landes Niederösterreich | 2009 Goldenes Ehrenzeichen des Bundeslandes Wien | 2010 Großes Goldenes Ehrenzeichen des Landes NÖ | 2014 L.E.O.-Award | für ihre Basisarbeit bei der Begründung des Berufsstandes der Lebens- und Sozialberatung | 2017